Sisyphos’ Flug
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Manchmal entstehen Projekte erst während man schon mitten drin steckt. Eine Geschichte beginnt sich zu formen, die man noch nicht erkannte, auch als man schon längst ihre Erzählung begonnen hatte. So auch bei diesem Projekt – “Sisyphos’ Flug”.
Doch beginnen wir von vorne.
Vor einigen Jahren packte mich die Leidenschaft der Mondfotografie. Als ich eines Abends auf dem Rückweg von einem winterlichen Ausflug den goldenen Vollmond im rosa Abendhimmel über den schneeverhangenen Bergen des Schwarzwaldes leuchten sah, wusste ich: ich muss dieses besondere Schauspiel unseres Erdtrabanten einfangen.
Gereizt hat mich immer die Beziehung zwischen Himmelskörper und einer irdischen Struktur, welche die ganze Größe und Wucht des Mondes und unsere eigene verschwindende Winzigkeit auf ehrfurchterregende Art und Weise deutlich macht.
Ich fing an, Kirchtürme und Kapellen der Umgebung ausfindig zu machen, Berechnungen anzustellen, wann ich wo stehen müsste, wie tief die Sonne gesunken sein muss, wie hoch der Mond über dem Horizont sein darf, durch welche Straßenflucht ich noch einen Blick auf das Spektakel erhaschen kann und wie ich ultimativ zu meinem Zielfoto komme.
Mit jedem gescheiterten Versuch, aber noch mehr mit jedem (am Anfang seltenen) Erfolg wuchsen mein Anspruch an mich und nach und nach auch die Brennweite meiner Objektive – bis hin zu einem Kleinbildäquivalent von 800mm, das mir endlich eine gute Abbildung des Mondes versprach.
Nach einigen erfolgreichen Aufnahmen von statischen Objekten wie Bauwerken und Bäumen vor dem goldenen Mond erschloss sich mir der nächste Schritt: Ich würde versuchen, eine Person vor dem Mond zu plazieren und sie mit dem riesigen Ball ‘interagieren’ zu lassen.
So entstand die Idee des ‘Sisyphos’. Eine Figur aus der griechischen Mythologie, deren göttliche Strafe es ist, einen riesigen Felsbrocken wieder und wieder einen steilen Hang herauf zu schieben. Ich denke, ihr wisst worauf es hinauslief…
Die Verwirklichung des Projektes erwies sich dann auch als tatsächliche Sisyphos-Arbeit. Die aufwendige Planung wurde von unpassenden Wetterverhältnissen behindert, dazu kam die Koordination mit einer weiteren Person, die Anreise und Positionierung, die mehrere Stunden in Anspruch nahm, die Kommunikation während der Aufnahme mittels Handy und vieles mehr.
Als aber der passende Tag gekommen war, mein Darsteller und ich mit einem Abstand von etwa 1.5 km auf zwei Hügel positioniert waren, die Sonne schließlich hinter mit versank und es mir mit Mühe im steilen Gelände gelang das 800mm Objektiv ohne Stativ oder Monopod im richtigen Moment richtig auszurichten, der Mond die perfekte Höhe hatte um wie eine Kugel auf dem Boden zu liegen und mein ‘Sisphos’ seine Hände genau richtig streckte um den Mond scheinbar den Hang hinauf zu schieben – da war alles perfekt.
Vergessen die Mühen der Planung, die Suche nach einem passenden unbewaldeten Hang, das monatelange Warten auf die Kombination von klarem Himmel und Vollmond, das ungute Gefühl eine zweite Person von einer Idee zu überzeugen, derer man sich selbst alles andere sicher ist, das Brennen der Lunge beim Hinaufhetzen auf den Hügel, in der Hoffnung, bloß nicht zu spät zu sein, das bange Warten bevor der Mond endlich am Horizont auftaucht (erst ein heller Strich, bald eine kreisrunde Scheibe), die last-minute-Positionsänderung, als ich realisierte, dass meine Berechnungen wohl doch nicht präzise genug gewesen waren und ich eine steile Böschung mehrere Meter hinunter schlittern musste, eine Aktion, die meine Stiefel randvoll mit feinem Lösssand füllte – wie weggeblasen.
Dann der Moment selbst: in Sekunden vergangen. Das auf den Sensor gebannte Bild und – wichtiger noch – die Erinnerung: für die Ewigkeit.
Ich war endgültig angefixt. Bald begann ich weitere Konzepte zu entwerfen und zwei weitere Projekte entstanden im Lauf der Jahre.
Zuerst der ‘Malermond’, der eine Figur zeigt, die den Mond in seiner goldenen Farbe anstreicht. Dieses Konzept erforderte es einige Requisiten (eine Leiter, Eimer, Farbrolle) den Hügel hinaufzuschaffen und wurde maßgeblich gefährdet als durch ein Funkloch die Kommunikation mit dem ‘Maler’ abbrach und dieser das Bild rettete, indem er intuitiv die richtige Position einnahm. Für einige Sekunden nur, aber das reichte.
Und zu guter letzt die Ballonfahrt, die zwei Darsteller und ein große Koordination erfordert, am Ende sehr spontan verwirklicht wurde und erstaunlicherweise umso besser funktionierte. Eine besondere Rolle spielten hier die Requisiten: der ‘Ballonkorb’, der aus zwei platten Umzugskartons bestand, und die ‘Seile’, die hauptberuflich zwei Teleskopstangen für Malarbeiten sind. Die Illusion war perfekt.
Noch lange nach Vollendung der letzten Idee betrachtete ich diese Projekte als einzelstehende, zwar im Prinzip vereinte, aber inhaltlich nicht zusammenhängende Fotos. Ich veröffentlichte die Aufnahmen auf meinem kleinen Instagram-Kanal, erfreute mich des mäßigen Zuspruchs, den ich für diese aufwendigen Arbeiten bekam, und betrachtete ab und zu auf dem Monitor meine Bilder, stolz, diese komplexen Projekte bewältigt zu haben.
Bis schließlich eine Bekannte mir erzählte, wie sie diese Bilder ‘liest’: als eine zusammenhängende Geschichte.
Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Wie konnte ich, immerhin der Urheber aller drei Ideen, das nicht selber sehen?
Eben jene Bekannte bestellte schließlich die drei Bilder für ihre Praxis und so bekam ich die Gelegenheit, das Projekt (mittlerweile eines und nicht mehr drei) auch physisch zu gestalten und die Geschichte in Form von drei Wandbildern vor mir zu sehen.
Ich wusste gar nicht, dass ich darauf solange gewartet hatte, aber der Freudenschauer, als die drei Bilder auf semigloss FineArt-Papier in schlichten Rahmen mit Weißrand hinter Museumsglas vor mir lagen, offenbarte mir auch diesen, abschließenden Aspekt meines Projektes.
Meiner Geschichte.
“Sisyphos’ Flug”
Besonderer Dank gilt meinen Darstellern, ohne sie wäre nichts von alledem möglich gewesen.
Technische Notizen:
– alle Bilder aufgenommen mit 400mm an MFT-Kamera und zusätzlich gecroppt
– EXIF: Sisyphos (400mm, 1/200s, f6.3, ISO 6400), Malermond (400mm, 1/400s, f8, ISO 2500), Ballon (400mm, 1/100, f8, ISO 1600)
– entrauscht mit DXO PureRaw 3
– kein Einsatz von Photoshop, bis auf: kleines Stempel an der Spitze des rechten ‘Seils’ beim Ballon-Bild
– Planung mittels ‘The Photographers Ephemeris’ (Desktop Browser Version)
Diskussionsbeiträge (2)
Wünsche dir ebenfalls viel Erfolg für das neue Jahr!
Liebe Grüße aus Freiburg!