Pik Lenin – Gibt es einen einfachen 7000er

Eine Story von Markus Matthes
12.09.2023

In dieser Story

Im Jahre 2021 wollte ich mir einen lang gehegten Traum erfüllen und den Pik Lenin im Pamirgebirge besteigen. Mit seinen 7134 m ist der Berg eine echte Herausforderung, wird aber zumeist noch ohne die Hilfe von Flaschensauerstoff bestiegen. Als leidenschaftlicher Hobbyfotograf wollte ich natürlich auch das Leben und die Abläufe im Basecamp und auf der Tour dokumentieren. Hierbei entstand auch die Idee für mein Zielfoto. Pferde sind auf den schmalen Pfaden die einzige Möglichkeit, um Ausrüstung und Lebensmittel in die einzelnen Lager zu transportieren. Jeden Abend grasten die Tiere auf der Wiese hinter meinem Zelt. Für das Gelingen unserer Tour waren die Pferde von höchster Bedeutung und so steht dieses Bild für mich im Mittelpunkt einer außergewöhnlichen Reise, von der ich euch im Folgenden näher berichte.

Zweifel

Ein „einfacher“ 7000er, gibt es das eigentlich?

Diese Frage beschäftigte mich schon während unserer Anreise ins Basislager des Pik Lenin. 3 Wochen hatten wir nun Zeit, um uns auf diesen Berg körperlich und mental einzustellen. Kurz nach unserer Ankunft gingen schon die ersten besorgten Blicke in die Richtung, in der man den Pik Lenin sehen sollte. Doch nichts, außer dicken Wolken, ließ sich hier erkennen. Dieser Zustand sollte sich auch in den nächsten 3 Tagen nicht ändern und so kamen schon die ersten Unsicherheiten in der Gruppe auf. Wird es überhaupt möglich sein, auf den Berg zu kommen? So viel Schnee soll es lange nicht gegeben haben, hörten wir vom Küchenteam. Die Aufgabe war es nun, sich nicht von der negativen Grundstimmung anstecken zu lassen, sondern sich auf die bevorstehenden Touren vorzubereiten und einen klaren Kopf zu behalten. So nutzte ich die wenigen trockenen Minuten, um die Umgebung zu erkunden und den Zauber der Zwiebelwiese zu genießen. Doch auch in mir kamen erste Zweifel auf. Wird das Wetter nun endlich besser? Bin ich diesem Berg gewachsen?

Akklimatisation

Mit nachlassendem Regen und etwas wärmeren Temperaturen kehrt die Motivation ins Team zurück. Wir beginnen mit ersten Touren rund ums Camp und versuchen durch leichte Belastung den Körper an die Höhe zu gewöhnen. Das wichtigste hierbei? Zurückhaltung! Ein Punkt, den auch ich mir immer bewusst machen muss. Es geht in dieser Phase nicht darum Stärke zu beweisen und möglichst schnell ein bestimmtes Ziel zu erreichen, dafür hat man später noch genug Gelegenheit. Der Körper arbeitet in dieser Höhe auch ohne große Anstrengungen schon auf Hochtouren, um die unbekannten Umgebungseinflüsse und das geringere Sauerstofflevel zu verarbeiten. In diesen Situationen kann man besonders von den Erfahrungen der älteren Teilnehmer profitieren. „Suche dir einen Rhythmus, den du von unten bis oben konstant gehen kannst.“, so der Hinweis, den man sich zu Herzen nehmen sollte. So schaue auch ich öfter auf meine Herzfrequenz und den Höhenmesser um mein ideales Tempo zu finden. Am Ende zählt natürlich trotzdem das eigene Gefühl und man sollte sich von Zahlen, Daten und Fakten auch nicht zu sehr verwirren lassen. Wir bewegen uns in dieser Zeit auf Höhen zwischen 3600 m und 4300 m, wobei die Schlafhöhe weiter bei 3600 m liegt. Ausgedehnte Ruhephasen und guter Schlaf sind der Schlüssel zum Erfolg. Ich fühle mich gut, fühle mich bereit um jetzt direkt an den Berg zu gehen, der noch knapp 20 km entfernt liegt. Zum ersten Mal sehen wir auch den Gipfel und die gewaltige, schneebedeckte Wand. 3500 m liegt unser Ziel noch über uns. Mächtig, beeindruckend und auch beängstigend.

Aufbruch

Eine Woche sind wir nun schon im Basecamp und die Stimmung schwankt immer noch von motiviert zu deprimiert. Wechselndes Wetter, Berichte anderer Bergsteiger über Lawinen, aber auch die steigende körperliche Fitness sind nur ein paar der Einflussfaktoren, die hier wirken. Jetzt wird es Zeit, die sichere und gemütliche Umgebung des Basecamps hinter sich zu lassen und zum Camp 1 auf 4400 m aufzubrechen. So sind wir also eine ganze Weile mit Packen beschäftigt. Alles wird mehrfach kontrolliert, man will ja schließlich nichts Wichtiges vergessen. Und dann beginnt die eigentliche Expedition. Zunächst zieht sich der Weg gemütlich über die Wiesen zum „Pass der Reisenden“. Ab hier ändert sich die Szenerie und wir tauchen ein in eine hochalpine Landschaft aus Fels und Eis. Nach einer schier endlosen Wanderung erreichen wir das Camp und sind ziemlich erschöpft. Vor uns lässt sich nun die eigentliche Aufstiegsroute erahnen und wir begreifen, was hier eigentlich noch vor uns liegt. Dieser Weg, so nah er auch scheint, liegt aber immer noch rund eine Woche vor uns und wir beginnen eine weitere Akklimatisationsrunde. Dieses Mal werden wir auf Höhen über 5000 m aufsteigen, um uns noch weiter anzupassen. In mir keimt so langsam die Hoffnung, dass es wirklich gelingen könnte.

Die Bratpfanne

4:00 Uhr am Morgen. Im Schein der Stirnlampen beginnen wir unseren Aufstieg ins Camp 2 auf 5300 m. Tags zuvor haben wir schon den Rucksack gepackt. Jeder von uns wird um die 25 kg Gepäck tragen müssen, um sich in den nächsten Tagen versorgen zu können. Heute wird eine entscheidende Etappe sein. Man spürt unter der Belastung, ob die Akklimatisation schon weit genug fortgeschritten ist und ob die körperliche Fitness eine Fortsetzung der Tour zulassen wird. Vorbei geht es an riesigen Gletscherspalten, Eistürmen und durch einen Eisbruch schier endlos eine gerade Linie den Berg hinauf. Auf ca. 5100 m befinden wir uns auf einem kleinen Plateau und können das Camp 2 bereits sehen. Gleich da, gleich geschafft, puh. Doch weit gefehlt, jetzt liegt die so genannte „Bratpfanne“ vor uns. Ein Gletschertal mit Temperaturen um 30 Grad. Die Sonneneinstrahlung ist brutal und wir haben alle Mühe uns auf den Beinen zu halten. Jeder Schritt ist unheimlich anstrengend und das Ziel scheint nicht näher zu kommen. Endlich im Camp, sinken alle zusammen und verkriechen sich ins Zelt, um der Hitze zu entkommen. Bald geht die Sonne unter und das Thermometer fällt schnell auf 10 Grad unter null, eine enorme Belastung für den schon angespannten Kreislauf. So wundert es nicht, dass ein Großteil der Truppe hier schon den Rückweg antreten muss. Von ursprünglich 13 Teilnehmern bleiben lediglich 4 übrig. Noch 4 Tage bis zum möglichen Gipfelaufstieg.

Leistungstest

Noch 3 Tage, dann wollen wir es wagen. Der Wetterbericht sieht gut aus, die Bedingungen scheinen ideal. Höchste Zeit einmal zu testen, wie es um die eigene Leistungsfähigkeit steht. Wir wählen dazu den Abschnitt von Camp 2 zu Camp 3 auf 6100 m und transportieren gleichzeitig schon einmal Proviant für den Gipfelversuch ins Lager. Schon auf den ersten Metern zeigt sich, dass ich wohl sehr gut in Form bin und schon bald bin ich ganz allein unterwegs. Ich finde einen angenehmen Rhythmus und nach rund 3:30 h haben ich den Aufstieg hinter mir. Ich fühle mich gut und setze mich in die Sonne, um die wunderschöne Aussicht zu genießen. Nach ca. 1 h mache ich mich auf den Rückweg und kann mich an der grandiosen Landschaft um mich herum erfreuen. Ich fühle mich fit und bereit es zu versuchen. Irgendwie vergesse ich, in welcher Höhenlage wir uns hier bewegen und alles wirkt recht vertraut, so wie ich es in den Alpen kennen gelernt habe. Ein Gefühl der Euphorie kommt in mir auf. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl dieses Gipfelziel erreichen zu können.

Gipfeltag

3:00 Uhr Sturm, -15 Grad. Camp 3 auf 6100 m. eine unruhige Nacht liegt hinter uns. Wir ziehen alles an was wir haben und schon bald starten wir unseren Gipfelversuch. Das Wetter soll über den Tag nahezu ideal werden. Vor uns sehen wir schon die Stirnlampen anderer Bergsteiger, wir sind also wohl am richtigen Tag, am richtigen Ort. Voller Euphorie starte ich, bald bin ich wieder allein, der Rest der Gruppe kann nicht folgen. Ich beginne zu überlegen: „Kann ich es wagen, den Weg allein zu gehen?“ Wie schätze ich Chancen und Risiken ein? Am Ende habe ich mich dafür entschieden es zu versuchen und nach rund 8 h stand ich auf dem Gipfel. 7134 m, ein Hochgefühl? Nein! Ein Gedanke entwickelt sich in meinem Kopf. „Warum habe ich das gemacht?“ Wegen der Aussicht? Eigentlich nicht, die ist an anderen Orten ähnlich spektakulär. Aus sportlichem Ehrgeiz? Das ist sicher ein großer Punkt, aber rechtfertig der sportliche Ehrgeiz das hohe Risiko einer solchen Unternehmung? Fragen auf die ich in diesem Moment keine Antwort fand. So hockte ich knapp eine Stunde auf dem Gipfel, allein, in vollkommener Ruhe und beginne schließlich den Abstieg ins Camp 3. Auf dem Rückweg treffe ich auch meine Gruppe wieder und es beginnt ein sehr langer und äußerst anstrengender Abstieg. Erschöpfung und Kälte dringen in den Körper und so manch ein Bergsteiger erleidet einen Zusammenbruch. Vollkommen erschöpft erreichen wir das Lager, ein langer Tag geht zu Ende.

Erkenntnis

Wir sind wieder im Basecamp, glücklich angekommen zu sein, glücklich auf dem Gipfel gestanden zu haben und diese grandiose Landschaft erleben zu dürfen. Im Lager wird die Leistung wirklich hochgeschätzt und eine ganze Reihe Bergsteiger fragt nach unseren Erfahrungen und Erlebnissen. Doch irgendwie fühle ich mich gar nicht so euphorisch. Die letzten Tage und Wochen waren physisch und psychisch eine Grenzerfahrung in einer lebensfeindlichen Umgebung. Ich bin müde und kann das erlebte noch nicht so recht verarbeiten. Die Frage vom Gipfel beschäftigt mich immer noch sehr und ich kann keine wirkliche Antwort darauf finden. Einige Schicksale konnte ich hautnah miterleben, sei es das Kollabieren aufgrund purer Erschöpfung oder der Anblick erfrorener Finger und doch versuchen es jedes Jahr bis zu 500 Menschen diesen Berg zu besteigen, da er in technischer Hinsicht als leichter 7000er gilt.

Gibt es also nun einen „einfachen“ 7000er?

Aus technischer Sicht mag das sicher stimmen. Es gibt keine klettertechnischen Schwierigkeiten und das Spaltenrisiko ist überschaubar. Meiner Ansicht nach, wirken aber die Einflüsse Wetter, Physis und Psyche bei so einer Unternehmung deutlich stärker und man muss all diese Faktoren in Einklang bringen um in so einer Umgebung erfolgreich und vor allem sicher bergsteigen zu können. Das Wort „einfach“ wird meiner Meinung nach hier zu einseitig betrachtet und trifft nicht ganz den Kern der Sache.

Würde ich es wieder tun? Jederzeit!

Autor:in
Markus Matthes
Ingenieur Automobilbau aus Chemnitz
Hobbyfotograf aus Sachsen. Ich verbringe meine Zeit gern in der Natur, beim Wandern und Bergsteigen.
Hobbyfotograf aus Sachsen. Ich verbringe meine Zeit gern in der Natur, beim Wandern und Bergsteigen.

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Diskussionsbeiträge (2)

30.09.2023, 10:12 Uhr
LeopoldSpringer
30.09.2023, 10:12 Uhr
Echt krasse Story! Respekt ?
29.09.2023, 17:06 Uhr
Thomas Quadflieg
29.09.2023, 17:06 Uhr
Tolle Story! Das kommt auf meine Liste recht weit oben. Krasse Bilder.
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