Auf den zweiten Blick

Eine Story von AndyS
12.11.2023

In dieser Story

Schlechte Laune. Über einen langen Zeitraum hatte ich immer schlechte Laune. Ich war zu nichts zu motivieren, der Beruf verlangte viel von mir ab und abends zuhause konnte ich mich zu nichts aufraffen. Und obwohl ich wusste, dass mich Fotografieren entspannt und mir Ausgleich bringt, war ich nicht einmal in der Lage, hierfür aufzustehen. Im Gegenteil: ich hatte das Gefühl, ich machte seit Monaten keine Fortschritte mehr, meine Bilder wurden einfach nicht besser. Das zog mich noch mehr herunter. Irgendwie wollte nichts funktionieren. Und immer wieder die Ausreden: keine Ahnung, was ich mitnehmen soll. Wo soll ich überhaupt hin? Irgendwie gibt es hier keine spannenden Motive. Alle anderen machen viel bessere Fotos. Ach, und es sieht ja auch wieder nach Regen aus. Und selbst, wenn es nicht regnet, der Himmel ist total grau und langweilig, überhaupt keine Struktur… ich glaube, jeder, der eine Weile fotografiert, kennt diese Gedanken.

Es musste also was passieren. So wollte ich nicht weiter machen. Ich erlegte mir selbst eine Challenge auf: 23 Tage, 23 Bilder. Ziel sollte sein, an 23 aufeinander folgenden Tagen wirklich aufzustehen und Bilder zu machen, und dann eines davon auszuwählen und zu posten. Ich fand Gefallen an dem Gedanken und begann schon vorzuplanen, was ich gerne an Themen oder Techniken verwenden wollte. Plötzlich war meine Motivation wieder da. Allein, die Beschäftigung damit, wie die Challenge ablaufen sollte, dass ich jeden Tag etwas anderes machen wollte, zog mich schon aus dem Sumpf.

Das Ganze gestaltete sich dann tatsächlich schwieriger, als anfangs gedacht. Ich hatte keinen Urlaub in der Zeit, also war mein Reiseradius begrenzt. Viel Spektakuläres gibt es in meiner direkten Umgebung nicht, aber ich war motiviert, aus dem was vorhanden war, etwas zu machen.

Unter anderem war mir ein Baum in der Nähe aufgefallen, an dem ich schon öfter vorbeigefahren war. Im Grunde kein spektakuläres Motiv, aber irgendwie musste ich immer zu ihm hinschauen, wenn ich diese Straße entlangfuhr. Irgendetwas hatte er also, wie er so relativ vereinzelt auf einem Hügel gegen den Himmel stand. Dieser Baum sollte also eines meiner Motive für die Challenge werden.

Ich wollte ihn bewusst mit einer Telebrennweite aus einiger Entfernung aufnehmen, um ihn wirklich einzeln zu erwischen. Also nahm ich meine Sony A7III, das Sigma 100-400 mm Contemporary und mein Rollei c50i Stativ und fuhr los. Ich fand einen Feldweg, in dem ich mein Auto abstellen konnte, und lief durch die Wiesen, um einen schönen Blickwinkel auf den Baum zu finden. Schließlich hatte ich meinen Spot gefunden, und machte einige Aufnahmen.

Motiviert und glücklich fuhr ich nachhause, importierte die Bilder in Lightroom… und war enttäuscht. Ich konnte kaum fassen, dass das die gleiche Bilder sein sollten, die ich am selben Tag aufgenommen hatte. Das Flair, die Stimmung, die ganze Wirkung, die der Ort auf mich hatte, war in den Bildern nicht zu spüren. Das war ein wirklich harter Moment.

Enttäuscht fuhr ich den Computer herunter, schmiss mich auf die Couch und scrollte verbittert durch Instagram. Wieder so ein Dämpfer, ich zweifelte einfach wieder an mir selbst und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Der erste Gedanke war natürlich (vermutlich auch sehr verbreitet): ich hatte die falsche Ausrüstung dabei. Vielleicht muss ich mir doch mal ein neues Objektiv/Stativ/Filter/… zulegen. Der übliche Kram, den man sich dann einredet, der einen aber auch nicht glücklich macht.

Ich beschloss, mir die Bilder nochmal anzusehen. Und ganz plötzlich, konnte ich doch was erkennen. Eines der Bilder faszinierte mich dann doch irgendwie. Ich fing an, es zu bearbeiten. Ein Zuschnitt im Quadrat-Format war sowieso wegen Instagramm schon geplant. Aber als ich dann den Bildausschnitt entsprechend verschob, so dass der Baum am untersten Rand war und der eigentlich langweilige Himmel den restliche Raum einnahm, machte es bei mir Klick. Ich stellte das Bild auf schwarz/weiß um und zack: die Wirkung war da. Ich schärfte ein wenig nach und hob die Kontraste an, und auf einmal gefiel mir das Bild richtig gut. Etwas in dieser Richtung hatte ich noch nie gemacht, also passte es sich auch noch gut in meine persönliche Challenge ein, bei der ich ja einfach experimentieren und meine Horizont erweitern wollte.

Hoffentlich hinterlässt das Bild auch bei euch einen Eindruck. Ich habe aus diesem Tag mitgenommen, dass ich manche Dinge einfach besser beurteilen kann, wenn ein bisschen Zeit vergangen ist. Als ich nachhause kam, war ich vielleicht über-hyped und hatte direkt furiose Ergebnisse erwartet. Das echte Potenzial des Bildes konnte ich da nicht beurteilen. Auf den zweiten Blick aber, war ich doch erfolgreich, was mich dann auch unheimlich motivierte, meine Challenge weiterzumachen. Es kam nicht jeden Tag ein Bild, wie ursprünglich geplant, und auch nicht alle Bilder sind so geworden, wie ich sie gerne gehabt hätte. Aber 23 Bilder später hatte ich viel gelernt und auch meine Freude wiedergefunden, und dieses Bild war eines davon. Und wieder hat sich gezeigt, dass man nur besser wird, wenn man einfach macht.

Autor:in
AndyS
Angestellter aus Rheinland-Pfalz
Hallo! Ich bin ein Amateur-Fotograf mit großem Interesse an allen Arten von Fotografie und auch Cinematographie.
Hallo! Ich bin ein Amateur-Fotograf mit großem Interesse an allen Arten von Fotografie und auch Cinematographie.

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