Nordkap und Mitternachtssonne oder warum man ein Zielfoto neu denken muss.
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Das Ziel
Corona-Sommer 2020 und wir wollen zum Nordkap. Norwegen hat noch seine Grenzen geschlossen. Vier Wochen harren wir in Dänemark aus. Beim dritten Versuch, mit der Fähre einzureisen, haben wir Erfolg. Jetzt aber los, mit dem Wohnmobil rauf auf die E6 und immer Richtung Norden. Wir erleben die ersten weißen Nächte, bis 24:00 Uhr im Hellen über die Straße zu rollen, kein Problem. Dann lernen wir den nordischen Regen kennen und die Frage kommt auf, was wollen wir im Regen am Nordkap? Ich weiß genau, was ich will. Am Nordkap um 24:00 Uhr mein Foto machen, und zwar mit der Mitternachtssonne.
Das Wetter
Die Wettervorhersagen werden rundum abgefragt, die norwegischen, die schwedischen, die deutschen und vielleicht macht der Schweizer besseres Wetter. Nein, es hilft nichts – wir gehen runter mit dem Tempo. Wir haben das Privileg, Zeit zu haben, nicht unendlich, aber doch mehr als der normale Urlauber. Solch eine Familie treffe ich ungefähr am 69. Breitengrad beim Tanken. Sie sind schon auf der Rückreise und ja, sie haben das Nordkap im Sonnenschein gesehen. Ich bekomme gerade einen Neidanfall, der sich aber sofort beruhigt. Sonne gab es nur am Vormittag und nur an einem Tag. Dann gab es wieder Regen. Für uns will der Wetterbericht Sonne vorhersagen und gleich für drei Tage, so ca. in einer Woche. Mich hält jetzt nichts mehr. Ich will da sein, wenn die Sonne kommt, und zwar rechtzeitig.
Die Geduld
Bei der Ausfahrt aus dem Tunnel zur Insel Magerøya, die das Nordkap beherbergt, steigt die Anspannung. Regen? Nein. Sonne? Auch nicht. Aber Wolken, die so tief hängen, dass wir bald mitsamt dem Wohnmobil darin verschluckt werden. Wir sitzen das aus, haben wir uns geschworen. Ich habe mein Zielfoto immer noch vor Augen und da sind keine Wolken drauf, jedenfalls nicht diese. Zwei ganze Tage warten wir ab in dem Dorf, das von sich behauptet, das nördlichste Fischerdorf der Welt zu sein. 40 Einwohner im Winter, 200 im Sommer und eine Rentierherde, die genüsslich die Straßen voll…. Wolkenuntergrenze: geschätzt 30 m, das Nordkap ist aber 300 m hoch und somit im Nebel. Das Aussitzen wird anstrengend.
Die Location
Am Tag drei hält sich das Wetter an seine Vorhersage. Die letzten Kilometer sind schnell vorbei und am Kassenhäuschen zum Nordkap-Parkplatz ist keine Schlange. Ach ja, Corona! Keine Kreuzfahrer-Ausflügler, keine Busreisende und kaum Ausländer. Die Norweger bleiben im eigenen Land. Wir bekommen einen Parkplatz direkt an der Steilküste mit Blick auf – eine kleine Halbinsel, die tatsächlich 1.300 m nördlicher im Nordmeer endet. Weil der hohe Felsen mit Steilküste wesentlich imposanter ist, haben die Norweger den Fehler des Nordkapentdeckers nicht korrigiert. Bei strahlend blauem Himmel erkunden wir den Felsen. Wo geht die Sonne unter? Gar nicht! Aber genau um 00:23 Uhr steht sie im Norden.
Das Foto
„Du wirst kein vernünftiges Bild von der Weltkugel machen können, es sind zu viele Menschen dort.“ Ich schlage die Warnung in den Wind, wir haben doch schließlich eine Pandemie. Gegen 23:30 Uhr mache ich mich auf die letzten Meter in Richtung Weltkugel und sie sind da, die Menschen, und auch in ansprechender Anzahl. Wie sehr ich mich auch bemühe, entweder sind die Köpfe der anderen Besucher mit im Bild oder Sonne und Weltkugel schweben frei im Raum. Es hilft nichts. Ich baue mein Zielfoto um, spontan und ungeplant und da sind jetzt Menschen mit drauf, genauer gesagt Kinder, die unter der Mitternachtssonne nur so vor Energie sprühen und um die Weltkugel aus Metall herumtoben. Das Bild ist im Kopf und nach einigen Versuchen im Kasten. Und die Mitternachtssonne? Sie bleibt ein wesentliches Bildelement, nur sieht der Betrachter sie halt nicht in ganzer Größe.
Und danach?
Ich lege mein Equipment beiseite. Diese Stimmung muss man einfach mit allen Sinnen aufnehmen. Der Blick durch den Sucher ist eben nicht alles.
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