Allein in der Unendlichkeit
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Mein Zielfoto: Die Milchstraße über den Tetrapoden am Strand von Hörnum auf Sylt.
So! Heute muss ich einfach raus! Die erste Chance vor drei Tagen habe ich schon verpasst. Konnte den inneren Schweinehund nicht besiegen. Dann waren die Nächte wolkenbedeckt. Heute sieht es gut aus, der Himmel weitgehend klar, der Mond verschwindet kurz vor 23 Uhr hinter dem Horizont. Die Milchstraße soll laut Photopills ab 23.20 gut sichtbar und fast senkrecht über meinem Fotoziel stehen.
Der Weg zum Fotoziel
Ich checke kurz meine Ausrüstung und verlasse dann unser Hotel in Hörnum zu Fuß Richtung Strand. Kurz hinter dem Ortsausgang wird es in Odde Wai stockfinster, keine Straßenlaterne, kein Haus beleuchtet meinen Weg. Die Böschungen links und rechts schlucken jeden Zivilisationslaut. Ich höre nur das Klappen meiner Sandalen auf dem sandigen Asphalt. Mit einem mulmigen Gefühl folge ich dem schmalen Lichtkegel meiner Stirnlampe, mache mir bewusst, dass es auf Sylt weder Wölfe, noch Bären oder Dementoren gibt und auch die Wahrscheinlichkeit, von somalischen Piraten verschleppt zu werden, eher gering ist. Ich folge weiter dem Weg Süderende, biege links Richtung Strand ab und stapfe über den Übergang der Düne weiter zum Strand.
Der weiche Sand macht das Vorwärtskommen anstrengend. Kühler Wind mit dem typisch salzig-modrigen Duft der Nordsee schlägt mir entgegen, das Rauschen der Wellen ist hier deutlich lauter zu vernehmen. Dank GPS und Googlemaps auf dem iPhone und meiner 2000-Lumen-Taschenlampe finde ich den Spot am Strand, den ich mir ein paar Tage zuvor ausgeguckt habe. Ich schalte die Lampe nur kurz ein, möchte meine Nachtsichtfähigkeit nicht komplett verlieren – und die bösen Geister der Nordsee nicht unnötig auf meine Anwesenheit aufmerksam machen.
Das Shooting
Doch jetzt ist Konzentration angesagt und das flaue Gefühl im Bauch schnell vergessen: Mithilfe von Taschenlampe und Kameradisplay suche ich Position und Bildausschnitt, stelle dann mein kleines Reisestativ auf und stelle manuell auf einen hellen Stern am Himmel scharf. Die elektronische Wasserwaage hilft mir, die Kamera gerade auf dem Stativ auszurichten – ohne sie wäre das jetzt unmöglich, so dunkel ist es hier. Check der Einstellungen: Blende 2.0, ISO3200, Belichtungszeit 20 Sekunden, Bildstabi aus, Auslösung mit 2 Sekunden Verzögerung, damit nichts verwackelt. Nach dem Drücken des Auslösers heißt es geduldig sein. 20 Sekunden Belichtungszeit plus 20 Sekunden Dunkelbelichtung zur Rauschminderung können ganz schön lang sein. Ich zoome in die Testaufnahme, sehe, dass meine Sterne scharf sind und korrigiere den Bildausschnitt.
Jetzt beginnt der kreative Teil. Nach dem Drücken des Auslösers husche ich vier, fünf Schritte nach rechts und leuchte die dunklen Tetrapoden mit 3% der maximalen Leuchtkraft meines Mini-RGB-LED-Lämpchens aus, schwenke das Licht dabei etwas herum. Bildcheck: Hm, sieht ganz ok aus. Nochmal probieren. Schon besser. Andere Seite … oh, das sieht klasse aus …
Après-Shooting
Ich probiere noch drei bis vier andere Bildausschnitte an anderen Stellen in der Nähe aus, schalte dann die Kamera aus und genieße in der Dunkelheit die unendliche Weite von All und Ozean. Zu meinen Füßen die beruhigend sanft rauschende Nordsee, die ich mittlerweile einigermaßen gut erkennen kann. Und über mir das atemberaubende Spektakel von Milliarden von Sternen am schwarzen Nachthimmel – mittendrin gut erkennbar das weißliche Band der Milchstraße. Für den Rückweg zur Düne schalte ich das Rotlicht meiner Stirnlampe ein, den Rest des Weges gehe ich ohne jegliches Licht. Meine Augen haben sich ans Dunkel gewöhnt und das mulmige Gefühl von anfangs ist dem berauschenden Gefühl gewichen, ein großartiges – und für mich extrem seltenes – Naturschauspiel erlebt zu haben.
Diskussionsbeiträge