Wenn schon kitschig, dann richtig

Eine Story von Jochens Pictures
13.11.2023

In dieser Story

Durch Familie und Beruf komme ich regelmäßig in die USA – meistens jedoch an eher beschauliche Orte wie Charleston, South Carolina, oder die Smoky Mountains. Doch dann ergab sich die Gelegenheit für einen kompletten Szenenwechsel: eine Woche Atlanta, Georgia. Großstadt, Olympiastadt, Skyline. Somit war mein Ziel klar: ich wollte unbedingt ein Skyline-Foto. Idealerweise bei Sonnenuntergang mit einem schönen Himmel. Träumen darf man ja.

Recherche

Also ging die Suche los: Wo sind passende Foto-Sports in Atlanta? 500px, TripAdvisor, Google Maps, Instagram, The Photographer’s Ephemeris, Reiseblogs… alles, was irgendwie vielversprechende Ergebnisse lieferte wurde durchsucht. Bald kristallisierten sich ein paar Favoriten heraus. Dann kam der nächste Schritt: wie komme ich vom Hotel aus am besten dorthin? Wie lange brauche ich? Bekomme ich die Tagesordnung der Meetings und den Sonnenuntergang zeitlich unter einen Hut? Wie sicher / vertrauenswürdig ist die Gegend? Eine Frage, die man sich in Atlanta durchaus stellen sollte.

Schließlich fiel die Entscheidung auf die Jackson Street Bridge. Auf Google Maps und Fotos im Internet war zu sehen, dass man von dort einen guten Blick auf die Skyline hat, und zudem im Vordergrund die Stadtautobahn, die den Blick ins Bild hinein lenkt. Dazu passte, dass im September die Sonne von der Brücke aus gesehen genau hinter den Hochhäusern untergehen würde. Und schließlich war die Brücke nicht all zu weit weg von unserem Hotel.

Vor Ort

Nach zwei verregneten Tagen passte sich das Wetter endlich der Vorhersage an und es klarte auf – ein herrlich wolkenloser Tag. Sonnenuntergang ist in Atlanta im September gegen 19:45 Ortszeit. Die Meetings gingen bis 18:00 – das passte perfekt. Gemeinsam mit einem Arbeitskollegen hatte ich mich entschieden, den Weg vom Hotel zur Brücke ganz unamerikanisch zu Fuß zurückzulegen. Gute zwanzig Minuten waren wir unterwegs und trafen genau eine Stunde vor Sonnenuntergang auf der Jackson Street Bridge ein. Zu dem Zeitpunkt waren wir die einzigen Leute vor Ort und konnten uns so den besten Standpunkt raussuchen.

Auch wenn es Meckern auf hohem Niveau war, aber bei mir machte sich tatsächlich etwas Enttäuschung breit: das Wetter war nicht nur gut, es war zu gut – keine einzige Wolke am Himmel. Trotz Luftfeuchtigkeit nahe 100% und Temperaturen um die 30°C. Wenig ist langweiliger als ein Sonnenuntergang mit leerem Himmel. Wo soll denn die Farbe herkommen?

Als der Sonnenuntergang näher rückte, fanden sich nach und nach immer mehr Leute auf der Brücke ein. Eine illustre Mischung aus Fotografen mit Stativen und Kameras in allen Größen einerseits, und jungen Leute die einfach mit dem Handy ihre Fotos und Selfies aufnahmen. Zeitweise waren mehr als 20 Leute gleichzeitig auf der Brücke, die dafür aber mehr als ausreichend Platz bietet. Wie in den USA üblich – und gerade in den Südstaaten liebe ich das – entstanden aus üblichen “hey, how’re you doing?” schnell viele kleine Gespräche. Das Publikum auf der Brücke war sehr international – ich habe an dem Abend Leute aus den USA, Kanada, Japan, Frankreich, Großbritannien und Brasilien getroffen. Allein schon für diese Gespräche hat sich der Abend gelohnt!

Die Fotos

Als sich die Sonne den Hochhäusern näherte und sich der Himmel langsam einfärbte fing ich an, Fotos zu machen. Im letzten Moment erschienen doch noch einige wenige Wolken, aber ob das reichen würde? Als die Sonne dann schließlich hinter der Ecke eines Hochhauses verschwand, konnte ich bei Blende 13 noch einen schönen Sonnenstern einfangen.
Je tiefer die Sonne hinter der Skyline versank, umso intensiver leuchtete der Himmel in rosa und orange. In den sich ständig änderten Lichtverhältnissen machte ich praktisch durchgehend Fotos. Als dann nach und nach immer mehr Lichter angingen, wurde die Szene nochmal deutlich lebendiger. Somit konnte ich noch eine weitere Idee umsetzen: ich schraubte einen 8x ND-Filter auf das Objektiv und setzte die Belichtungszeit entsprechend hoch – bei ƒ/8 und ISO 100 waren so 10-20 Sekunden Belichtungszeit drin – ausreichend, mit den Autos auf der Stadtautobahn schöne Lichtspuren zu malen.
Eine Stunde nach Sonnenuntergang machten wir uns dann wieder auf den Weg zurück ins Hotel. Ich hatte weit über 100 Fotos aufgenommen und war durchaus optimistisch, dass ein paar gute dabei waren – aber was DAS Zielfoto dabei? Irgendwie wurmte mich der leere Himmel noch immer…

Die Entdeckung zu Hause

Eine Woche später, zurück in Südhessen, setzte ich mich an die Auswahl und Nachbearbeitung der Bilder. Das Bild mit dem Sonnenstern gefiel mir, und auch in der blauen Stunde waren ein paar schöne Fotos dabei, wenn auch ohne großen Wow-Effekt. Also schaute ich mir die Aufnahmen aus der goldenen Stunde nochmal näher an.

Dabei fiel mir bei einem Bild auf, dass die Färbung des Himmels unregelmäßig erschien – das wollte ich besser sehen. Auf Verdacht hin zog ich in Lightroom Classic den Dynamik-Regler auf 100% – und bin fast vom Stuhl gefallen. Jetzt war deutlich zu sehen, wie die tief stehende, bereits hinter der Stadt verschwundene Sonne die diesige Abendluft von hinten anstrahlte und pink-orange zum Leuchten brachte. Und in dieses Leuchten werfen die Hochhäuser dunkelblaue Schatten! Was für ein Farbspektakel. Wie unfassbar kitschig das aussah! Genial. Jetzt war ich sogar froh über den leeren Himmel, so dass dort nichts von dem Farbspiel ablenkt.
Also habe ich das Foto weiter bearbeitet, bis auch die Hochhäuser und der Vordergrund meinen Vorstellungen entsprachen. Um noch etwas mehr Leben ins Bild zu bekommen, habe ich schließlich aus insgesamt vier Fotos die Lichtspuren der Autos übereinander gelegt.

Damit hatte ich dann mein Zielfoto: Skyline im Sonnenuntergang. Es hatte sich die ganze Zeit auf der Speicherkarte versteckt und ich hätte es beinahe übersehen, weil ich eine zu genaue Vorstellung davon hatte, wie ein “schöner” Sonnenuntergang auszusehen hat. Lektion gelernt: mehr auf das achten, was tatsächlich passiert als auf das, was der vorgefassten Idee nach passieren müsste.
Irgendwie sieht man jedenfalls auf den ersten Blick, dass das Bild in Amerika aufgenommen ist. Was auch irgendwie Absicht ist. Oder, um es mit den Worten meines besten Freundes aus Charleston zu sagen: “Oh my God, that’s so f****g American, I love it!”

Autor:in
Jochens Pictures
IT Consultant / Projektleiter aus Wald-Michelbach
Ich lebe mit meiner Familie und diversen Haustieren im tiefsten Odenwald. Fotografieren ist für mich wie eine kleine Auszeit. Bei der Suche nach dem Motiv und dem richtigen Blickwinkel sind alle Sorgen und Stress schnell vergessen - deswegen ist die Kamera auch auf Dienstreisen immer mit dabei. Landschaften und Tiere sind meine bevorzugten Motive.
Ich lebe mit meiner Familie und diversen Haustieren im tiefsten Odenwald. Fotografieren ist für mich wie eine kleine Auszeit. Bei der Suche nach dem Motiv und dem richtigen Blickwinkel sind alle Sorgen und Stress schnell vergessen - deswegen ist die Kamera auch auf Dienstreisen immer mit dabei. Landschaften und Tiere sind meine bevorzugten Motive.

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