Vintage-Fotografie im historischen Berlin
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Vintage. Retro. Zauberworte einer gut geölten Marketingmaschinerie oder Lifestyle? Sicherlich beides. Sie stehen aber auch für den Spaß an solidem Handwerk und Entschleunigung.
Der Auslöser
Vor einigen Jahre kam ich durch Vermittlung eines Bekannten, der in Norddeutschland Radsportveranstaltungen durchführt, in Kontakt mit dieser Szene. Schon als Jugendlicher war ich Radsportfan und träumte von unbezahlbar teuren aber wunderschönen Rennrädern.
2017 ergriff ich die Gelegenheit, im Rahmen der Berliner Fahrradmesse VELOBerlin bei einer Vintage-Radtour als einer von zwei Fotografen teilzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon einige Radsportveranstaltungen wie das Bremer und Berliner Sechstagerennen fotografiert, historische Fahrräder waren für mich jedoch noch etwas Besonderes.
Der Start
Treffpunkt der bunten Veranstaltung war mitten im historischen Zentrum Berlins: vor dem Konzerthaus auf dem Gendarmenmarkt. Wenn Vintage, dann bitte richtig! Tatsächlich stammt das Konzerthaus wie auch die “Drais’sche Laufmaschine” aus derselben Epoche.
Rund 40 Fahrradliebhaberinnen und -liebhaber trafen sich an diesem geschichtsträchtigen Ort. Mit dabei: Stahlrösser, die Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts begehrte Fortbewegungsmittel oder gar Statusobjekte waren. Geliebt, gepflegt, herausgeputzt und wieder lauffähig gemacht. Ihre Besitzerinnen und Besitzer standen ihnen in nichts nach: Tweed, Wolle, Leinen, alte Kleider, salonfähige Sakkos und sogar Anzüge wollten bestaunt werden.
Die Fahrradstaffel der Berliner Polizei sollte uns sicher durch die Stadt geleiten. Ein Gruppenfoto war obligatorisch – auf den Stufen des Konzerthauses, das von “Star”-Architekt Karl Friedrich Schinkel entworfen und unter seiner Leitung 1818-1821 als Königliches Schauspielhaus gebaut worden war.
Als Radsportfotograf hatte ich immer ein Faible für Bewegung – Gruppenfotos waren da eher Pflicht als Kür. Als sich die illustre Runde in Bewegung setzte, war ich jedoch in meinem Element. Nicht ganz so schnell wie die Steher hinter den schweren Motorrädern ihrer Schrittmacher, die ich bewunderte – aber eben doch in Bewegung.
Also fuhr ich mit dem Rad voran, suchte nach geeigneten Standorten, um diese Prozession bestmöglich in Szene setzen zu können. Und dazu gehörte natürlich das historische Ambiente des alten Berlin.
Das Foto
Kurz vor dem Start erfuhr ich, dass wir die Markgrafenstraße entlangfahren sollten, die die visuell attraktive Längsseite des Platzes markierte. DIE Gelegenheit, Fotos vor passendem Hintergrund zu schießen. Für mich hieß das: Gas geben (Radsportler sagen “Kette rechts”), an einem geeigneten Punkt anhalten, wenden, die Kamera in Position bringen und: draufhalten. Viel Zeit für Komposition und technische Finessen blieb nicht. Ich fokussierte die ersten Radfahrer an, die Blende 9 tat ihr Übriges. Dass die Radler tatsächlich scharf abgebildet wurden, lag nur daran, dass sie sehr gemütlich unterwegs waren. Statt ISO 100 wäre ISO 1000 sicherlich sinnvoller gewesen, um eine möglichst kurze Belichtungszeit zu erzielen. 30 Sekunden hatte ich insgesamt Zeit, um das erste Foto zu schießen, den richtigen Bildwinkel zu finden und die Gruppe vorbeifahren zu lassen. Gut 20 Fotos später war bereits das Ende der Gruppe bei mir angelangt und ich musste mich – erneut – beeilen, um nicht den Anschluss zu verpassen.
2 1/2 Stunden dauerte unsere Vintage-Tour mit Fotografenbegleitung, bis wir an unserem Ziel, dem Berliner Messegelände, angelangt waren.
Die Fotobearbeitung in Lightroom
Die eigentliche Arbeit stand mir jedoch noch bevor. In der ersten Version entwickelte ich die Fotos der Tour in Lightroom mit meinen Standardvorgaben – um festzustellen, dass dies nicht meinen Erwartungen entsprach: Ich hatte Fotos im Sinn, die so wirken sollten, als wären sie tatsächlich 100 Jahre alt.
Also: Sepia! Körnung! Vignette! Moderne Elemente: weg! So mussten die Mittelstreifen entfernt werden. In Lightroom kein Problem. Auch die im Hintergrund vorhandenen Satellitenschüsseln wollten abgeschwächt werden. Die Radler im Vordergrund wurden aufgehellt. Doch etwas fehlte noch – oder genauer: etwas störte: Passanten!
Die Bildretusche mit Photoshop
Passanten! Scharf abgebildet, modern gekleidet, störend. Zum Glück hatte ich mehrere Bilder aus demselben Winkel aufgenommen. Auf einem war der Blick auf den Hintergrund frei, die Passanten weg. Mit Photoshop konnte ich die Szene auszutauschen – meine erste “echte” Bildretusche!
Der Asphalt hingegen blieb. Sicherlich ein Stilbruch. Allerdings wollte (und konnte) ich das Bild nicht komplett verändern. Mit einem nachträglich hineinkopierten Kopfsteinpflaster wäre (für mich) die Grenze zur Bildmanipulation überschritten. Um auch das zu erwähnen: 2017 hätte mein Know-How nicht ausgereicht, eine derartige Manipulation technisch sauber durchzuführen.
Das Ergebnis
Am Ende standen viele Stunden am PC mit Lightroom und Photoshop auf der Haben-Seite. Eine sehr wohlwollende Fotobesprechung in Spiegel online war der Lohn. Inzwischen hängt das Foto auf 120×80 Canvas ausgedruckt über dem Wohnzimmersofa.
P.S.: 2017 fotografierte ich noch mit einer Canon EOS 70D, die leider eines Tages einen Defekt aufwies und seitdem als Ausstellungsstück neben meiner analogen Olympus OM2sp in der Fotovitrine steht.
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