Luftgekühlte Mitternachtssonne

Eine Story von Jochens Pictures
23.10.2023
Verwendetes Equipment: Olympus E-510 + Olympus Zuiko Digital ED 14-42 mm ƒ/3.5-5.6

Zeitreise

Im Juni 2010 war ich nach sieben Jahren in München gerade wieder zurück in meine südhessische Heimat gezogen. Der Wechsel zwischen Projekten in Kombination mit der Sommerpause verschaffte mir die einmalige Gelegenheit, vier Wochen Urlaub am Stück zu nehmen und so neben dem Abschluss des Umzugs ein schon lange geplantes Projekt in die Tat umzusetzen: Die Mitternachtssonne sehen!
Auch wenn ich aus Erzählungen im Familien- und Freundeskreis schon viel davon gehört hatte, war ich bis dahin noch nie selbst in Skandinavien gewesen. Als Startpunkt der Reise besuchte ich für drei Tage einen Freund in Oslo, darüber hinaus hatte ich nichts gebucht. Ich wollte mir die Flexibilität erhalten, spontane Abstecher und Umwege einzulegen. Im Laufe der Reise sollte sich das mehrfach bezahlt machen.
Das Motto war klar: der Weg ist das Ziel! Und damit wird auch wichtig, wie man es erreicht. In meinem Fall stilvoll luftgekühlt – im VW Käfer, der mir 1996 als Student zugelaufen war und mich seither treu begleitet. Mit zwei vollgepackten Taschen vorne im Kofferraum ging es schließlich los…
Noch ein paar Worte zur Fotografie: Meine Ausrüstung bestand damals aus einer Olympus E-510, einer MFT-DSLR mit 10 Megapixeln, sowie den beiden Kit-Objektiven (14-42mm und 40-150mm). Ich hab damals schon gerne fotografiert, wusste aber noch nicht so wirklich, was ich da tat. Klar waren manchmal echt gute Bilder dabei, aber warum? Gute Frage. Der Grundstein, um daraus Jahre später ein “richtiges” Hobby zu machen, war aber schon da.

Nordwärts

Von Oslo aus ging es an der norwegischen Küste entlang Tag für Tag weiter nach Norden. Sognefjord, Bergen, Molde, Trondheim, Hauknes… hinter jeder Kurve zog mich die atemberaubende und ständig wechselnde Landschaft erneut in ihren Bann, noch dazu, weil ich nahezu perfektes Wetter hatte. Immer wieder ging es über abenteuerliche Serpentinen hinunter in einen Fjord, um nach eine Fährfahrt am anderen Ufer direkt wieder bergauf zu fahren. Mit 34 hochmotivierten PS im Rücken ein absoluter Genuss. Schließlich überquerte ich den Polarkreis – endlich im Land der Mitternachtssonne! Und das am 25. Juni, also fast perfektes Timing.
Das nächste Ziel war Narvik, der große Erzverladehafen. Dort war ich leicht als Tourist zu identifizieren, da ich bei fünf Grad plus mittags einen Pullover anhatte, während die meisten Einheimischen im T-Shirt herumliefen… Als Eisenbahnfan interessierten mich vor allem die Erzzüge aus Schweden. Damals erlebten die schweren Stangen-Elloks aus den 1960er Jahren ihre letzten Einsatztage und ich hatte das Glück, noch zwei Maschinen im Einsatz zu sehen. Aber ich schweife ab…

Auf zur Sonne

In einer Zeit, als Smartphones noch weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt waren, beschränkte sich das “Location Scouting” auf Blättern im Norwegen-Reiseführer, Falten der Landkarte, und Suchen in der damals noch recht rudimentären TomTom-App, deren Norwegen-Kartenmaterial einige tückische Lücken hatte. Ich wollte die Mitternachtssonne auf jeden Fall mit Wasser im Vordergrund fotografieren, gesucht war also eine nach Norden offene Bucht. Und bald hatte ich einen Spot gefunden, der zumindest auf dem Papier gut aussah. So ging es gegen 23:00 Uhr bei strahlendem Sonnenschein(!) los, zunächst Richtung Norden, und dann ab Bjerkvik westlich Richtung Lofoten. Nach einer guten Stunde Fahrt kam ich schließlich in Tovik an, meinem Ziel.
Und in der Tat, an dem kleinen Hafen dort kann man prima direkt ans Wasser, und die nächsten Inseln sorgen dafür, dass der Horizont nicht einfach nur leer ist. Mein Timing war perfekt – die Sonne, fast an ihrem tiefsten Punkt angekommen, war auf dem Weg sich hinter einer der Inseln zu verstecken. Die Lichtstimmung mit dem ruhigen, metallisch glänzenden Wasser und überhaupt die ganze Atmosphäre in dieser so untypischen Nacht werde ich wohl nie vergessen…
Jetzt galt es natürlich noch festzuhalten, dass ich all das mit meinem treuen Käfer erlebt hatte. Der stand an Straßenrand und wurde herrlich golden angeleuchtet – der richtige Standpunkt brachte die Mitternachtssonne als Spiegelung ins Beifahrerfenster. Perfekt! Oder geht da noch mehr?

Im Rückwärtsgang zum Zielfoto

Ich bin ein paar Mal um das Auto herumgelaufen, auf der Suche nach weiteren Reflektionen und Lichteffekten, die sich gut in einem Foto machen. Dabei fiel mir auf, dass sich ein Teil der Szenerie in der Käfer-typischen flachen, fast ebenen Windschutzscheibe spiegelte… nur passte die Perspektive nicht ganz. Jetzt war gefühlvolles Rangieren gefragt, aber gleichzeitig auch Eile geboten – die Sonne war schon fast hinter der Insel verschwunden. Doch im dritten Anlauf passte es dann – und so sieht man, wie sich die Hafenszenerie von Tovik mit Straßenlaternen und Strommasten, samt Mitternachtssonne die gerade hinter der Insel Rolla verschwindet, in der Windschutzscheibe spiegelt. Buchstäblich “Norwegen im Käfer”, mit der Chromzierleiste als Bilderrahmen.
Das blieb dann auch meine einzige Gelegenheit, die Mitternachtssonne zu fotografieren, denn am nächsten Tag schlug das Wetter um und die Fahrt nach Schweden rüber war von starken Regenfällen begleitet. Es waren die zwei einzigen nassen Tage auf der gesamten Reise. Dabei stand im Reiseführer doch, “der Abisko-Nationalpark ist bekannt für sein klares Wetter um die Zeit der Sommersonnenwende.” Aber so langsam musste ich mich auch auf den Rückweg machen…

Epilog

Insgesamt waren es am Ende 6.700km in dreieinhalb Wochen. Von Narvik aus ging es über Kiruna und Luleå nach Stockholm und schließlich über Hamburg wieder nach Hause. Geschichten gäbe es noch viele, aber unter allen Fotos sticht dieses hier besonders heraus. Und der VW Käfer? Begleitet mich auch 13 Jahre später immer noch, inzwischen mit H-Kennzeichen und einer guten Viertelmillion Kilometer auf dem Tacho. Er wird hier bestimmt nochmal in der einen oder anderen Story auftauchen. Und er läuft und läuft und läuft…

Autor:in
Jochens Pictures
IT Consultant / Projektleiter aus Wald-Michelbach
Ich lebe mit meiner Familie und diversen Haustieren im tiefsten Odenwald. Fotografieren ist für mich wie eine kleine Auszeit. Bei der Suche nach dem Motiv und dem richtigen Blickwinkel sind alle Sorgen und Stress schnell vergessen - deswegen ist die Kamera auch auf Dienstreisen immer mit dabei. Landschaften und Tiere sind meine bevorzugten Motive.
Ich lebe mit meiner Familie und diversen Haustieren im tiefsten Odenwald. Fotografieren ist für mich wie eine kleine Auszeit. Bei der Suche nach dem Motiv und dem richtigen Blickwinkel sind alle Sorgen und Stress schnell vergessen - deswegen ist die Kamera auch auf Dienstreisen immer mit dabei. Landschaften und Tiere sind meine bevorzugten Motive.

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Diskussionsbeiträge (1)

14.11.2023, 18:35 Uhr
Peter Ebel
14.11.2023, 18:35 Uhr
Ein schönes Projekt, lass es laufen und laufen und laufen .....
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