Zwischen Schiefer und Wolken
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Schon der Blick aus dem Zugfenster verriet mir, welch zauberhaft schönes Fleckchen Erde auf mich warten würde. Das Licht der Abendsonne legte sich wie ein goldenes Tuch über die saftig-grüne Hügellandschaft. Einsame Bäume warfen lange Schatten, während allmählich die Konturen der Berge am nachtblauen Horizont vorbeizogen. Die vollkommene Schönheit jedoch, sollte sich erst bei Tageslicht entfalten, nachdem ich am frühen Morgen in der Unterkunft ausgecheckt hatte.
Die Straßen in Blaenau-Ffestiniog waren wie leergefegt. Das idyllische Städtchen mit dem sperrigen Namen liegt im Herzen des Snowdonia Nationalparks in Wales und ist ein idealer Ausgangspunkt für Outdoor-Abenteuer aller Art. Da ich allein und spontan reiste und meine Unterkunft meist nur für die nächste Nacht plante, entschied ich mich angesichts der schlechten Wetterlage und zur Eingewöhnung an meine bevorstehende Wandertour, lediglich die nähere Umgebung zu erkunden.
Mit siebzehn Kilo Gepäck auf den Schultern unternahm ich einen ausgedehnten Ausflug nach Tanygrisiau, einem nahegelegenen Ort, den ich schon lange zuvor als Startpunkt auf meiner Wanderkarte markiert hatte. Die Sony Alpha 6000 an einem Tamron-Zoomobjektiv (28–200 mm) lag jederzeit griffbereit in meiner geräumigen Bauchtasche. Ich machte einige Aufnahmen vom beschaulichen, aber harschen Leben in der Gegend. Allerdings musste ich aufgrund der feinen Tröpfchen, die in der dunstigen Luft schwirrten, Kamera und Linse immer wieder von einem dünnen Wasserfilm befreien.
Schon bald führte die Straße einen Hang hinauf, und allmählich verschwanden die Häuser hinter mir – oder besser gesagt: unter mir. Zum ersten Mal spürte ich, wie die Schwerkraft gegen mich arbeitete. Ich schwitzte aus allen Poren, trotz des auffrischenden Windes. Wenige Kilometer später erreichte ich einen Parkplatz, der zugleich das Ende der Zivilisation markierte. Im Gegensatz dazu lud ein tosender Wasserfall in unmittelbarer Nähe zu einer Rast ein. Schnaufend stellte ich meinen Rucksack an einem Felsen ab und stärkte mich mit einer Zwischenmahlzeit, während mein Blick der Route folgte, die nun noch vor mir lag – eine schroffe Piste, die sich an einem stillgelegten, wolkenverhangenen Steinbruch hinauf schlängelte.
Ich füllte meine Wasserflasche mit Quellwasser und setzte meinen Weg fort – noch steiler bergauf, Schritt für Schritt, während permanenter Gegenwind und Sprühregen mich begleiteten. Mit jedem erklommenen Meter himmelwärts ahnte ich, was mich in den nächsten Tagen erwarten würde – die perfekte Einstimmung auf anspruchsvolle Etappen. Und wie sich später herausstellte, war dies ein Kinderspiel, verglichen mit dem Kampf gegen die Endgegner, die hinter jedem Höhenmeter auf dem Rhyd Ddu Pfad, hinauf zum höchsten Berg von Wales, lauerten.
Schließlich endete der kräftezehrende Aufstieg an einer behelfsmäßigen Brücke. Sie ebnete mir den Weg zu einem Plateau mit atemberaubendem Ausblick auf eine spätsommerlich gekleidete Ruinenlandschaft, in der vereinzelt weiße Punkte hervorschimmerten – Schafe, die wie überall in Wales umherstreiften. An den Bergflanken räkelten sich wattige Wolkenfetzen, die sich letztendlich an einem Bündel von Sonnenstrahlen auflösten. Die schmalen Pfade auf dem weitläufigen Gelände waren gesäumt von Überresten des ehemaligen Rhosydd-Bergwerks; schwarzglänzende Schindeln und verrostete Schienen, an denen einst die Räder von Loren quietschten – stumme Zeugen des einst florierenden Schieferabbaus vor mehr als hundert Jahren. Ein langgestreckter See schien dunkle Geheimnisse in seinen Tiefen zu verbergen. Die düstere Fassade einer eingestürzten Kirchkapelle vollendete schließlich das bilderbuchreife Meisterwerk, das einem Fantasy Roman entsprungen sein könnte. Mir kam unweigerlich der Gedanke, ob J. R. R. Tolkien, der Autor von Der Herr der Ringe, sich von dieser Umgebung hatte inspirieren lassen, als er Mordor erschuf. Ich zückte die Kamera und bereitete mich auf bildgewaltige Shots vor, auch wenn die Bedienung der kleinen Sony-Knöpfe aufgrund der Witterungsverhältnisse gewohnt schwer von der Hand ging.
Auf meiner Interrail-Reise, entlang des britischen Eisenbahnnetzes verzichtete ich bewusst auf die Mittel anspruchsvoller Fotografie. Ich setzte den Fokus auf’s Wandern. Dementsprechend musste ich an Gewicht sparen. Doch als ich die Ergebnisse mir zu Hause genauer betrachtete, war mir klar: Da kann man mehr draus machen! Definitiv werde ich irgendwann der malerischen Bergregion um Blaenau-Ffestiniog herum, einen erneuten Besuch abstatten.
Diskussionsbeiträge (1)
Hallo,
das Bild gefällt mir sehr gut. Die Aufteilung hätte ich genauso gemacht, es ist sehr schön, wie sich der Baum mit seinen Blättern dem Haus zuwendet. Bei den Grün- und Gelbtönen wäre ich in der Entwicklung vorsichtiger gewesen - aber hier passt es super. Vielleicht sollte ich mutiger sein :-).
Viele Grüße
Michael